In Berlin steht eine wichtige Gesetzesänderung bevor. Das Abgeordnetenhaus plant eine Reform des Neutralitätsgesetzes, das bisher das Tragen religiöser Symbole im öffentlichen Dienst untersagt. Die Neufassung betrifft besonders Schulen und bringt konkrete Änderungen.
Inhaltsverzeichnis:
- Karina Jehniche und der Fall der Lehrerin mit Kopftuch
- Reform durch CDU und SPD geplant
- Keine religiösen Symbole bei Polizei und Justiz
- Kritik von Grünen und Linken
- Zentrale Punkte der Gesetzesänderung
Karina Jehniche und der Fall der Lehrerin mit Kopftuch
An der Christian-Morgenstern-Grundschule im Berliner Stadtteil Spandau wurde eine Lehrerin mit Kopftuch eingestellt, obwohl das Berliner Neutralitätsgesetz dies bislang untersagt. Die Schulleiterin Karina Jehniche entschied sich dennoch für die Bewerberin, eine ausgebildete Zellbiologin aus dem Libanon. Die Lehrerin ist Quereinsteigerin und unterrichtet inzwischen regulär.
Die Schule zählt rund 90 Prozent Kinder mit Migrationshintergrund, viele von ihnen sprechen zu Hause kaum Deutsch. Jehniche sah im Kopftuch der Lehrerin keine Gefährdung für den Schulalltag. Sie beschrieb die Lehrkraft als offen und engagiert. Für sie stand nach dem Bewerbungsgespräch fest: Fachkompetenz und pädagogisches Gespür wogen schwerer als religiöse Kleidung.
Die aktuelle Rechtslage stellte sie vor ein Dilemma. Laut Neutralitätsgesetz von 2005 dürfen Beschäftigte des Landes Berlin – darunter Lehrkräfte – keine sichtbaren religiösen Symbole oder Kleidungsstücke im Dienst tragen. Diese Regel wurde jedoch durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2015 abgeschwächt. Seitdem gilt: Ein pauschales Verbot ist nicht zulässig, nur bei konkreter Gefährdung des Schulfriedens ist ein Eingriff möglich.
Reform durch CDU und SPD geplant
CDU und SPD wollen das Gesetz noch vor der Sommerpause ändern. Ziel ist, die Diskrepanz zwischen rechtlicher Lage und gelebter Praxis zu beseitigen. Die Neufassung sieht vor, dass das Tragen religiöser Kleidung in der Schule erlaubt ist, es sei denn, es liegt eine "hinreichend konkrete Gefährdung oder Störung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität" vor.
Der Gesetzestext soll künftig ausdrücklich fordern, dass objektive und nachvollziehbare Gründe vorliegen müssen, um ein Verbot auszusprechen. Für die Auslegung solcher Gründe gibt es klare Vorgaben: Nur wenn Lehrerinnen missionarisch auftreten oder Schülerinnen und Schüler direkt beeinflussen, darf das Tragen verboten werden.
Juristin Kirsten Wiese von der Hochschule Bremen erklärt: Das Verbot sei nur dann rechtmäßig, wenn eine Lehrerin über das reine Tragen hinaus zur Konversion aufruft. Solche Fälle seien selten. In Spandau gab es bislang keinen Vorfall, der den Schulfrieden gestört hätte.
Keine religiösen Symbole bei Polizei und Justiz
Trotz der geplanten Liberalisierung für Schulen bleibt das Verbot für Justiz und Polizei in Berlin bestehen. Beamtinnen und Beamte dürfen weiterhin keine religiösen Symbole sichtbar tragen. Dies betrifft beispielsweise Polizisten mit Turban oder Justizangestellte mit Kippa.
Während andere Bundesländer wie Bremen, Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein bereits gelockert haben, hält Berlin an der Trennung fest. CDU-Politiker Ersin Nas betont: Gerade in der Justiz sei Neutralität unerlässlich, da dort staatliche Autorität unmittelbar ausgeübt werde.
Die schwarz-rote Koalition sieht in der klaren Trennung zwischen Schule und Justiz einen zentralen Punkt der Reform. Für Schulen wird differenziert, im Bereich der Polizei bleibt es beim bisherigen Verbot.
Kritik von Grünen und Linken
Die Grünen und die Linke fordern hingegen die vollständige Abschaffung des Gesetzes. Tuba Bozkurt von den Grünen kritisiert, dass die geplante Reform weiterhin diskriminierend sei. Schulaufsichtsbehörden sollen künftig entscheiden, wann der Schulfrieden gefährdet ist. Für Bozkurt ist das eine "Verschiebung der Verantwortung" und kein echter Fortschritt.
Offizielle Zahlen zu Lehrkräften mit religiösen Symbolen existieren nicht. Die Bildungsverwaltung verweist auf Datenschutz und verweigert die Erhebung solcher Daten. Es gibt jedoch Hinweise, dass die Zahl der betroffenen Lehrerinnen in Berlin gering ist.
Karina Jehniche hat in diesem Schuljahr zusätzlich eine Erzieherin mit Kopftuch eingestellt. Sie geht davon aus, dass sich künftig mehr Lehrerinnen mit Kopftuch bewerben werden. Bewerbungen von Personen mit Kippa sieht sie jedoch kritisch, da sie Übergriffe befürchtet.
Zentrale Punkte der Gesetzesänderung
- Lockerung für Lehrerinnen und Lehrer: Religiöse Kleidung wird erlaubt, sofern der Schulfrieden nicht gefährdet ist.
- Konkretisierung der Ausnahmen: Nur bei missionarischem Verhalten oder aktiver Beeinflussung kann das Tragen verboten werden.
- Trennung der Regelungen: Schulen werden von Polizei und Justiz klar abgegrenzt.
- Keine Änderung für Polizei und Justiz: Hier bleibt das Verbot religiöser Symbole bestehen.
Mit der geplanten Reform reagiert das Land Berlin auf die höchstrichterliche Rechtsprechung und die realen Verhältnisse in den Schulen. Damit wird ein politisch und gesellschaftlich sensibles Thema neu geordnet.
Quelle: RBB24